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Flossbach von Storch : Merz ist Kanzler – kommt jetzt eine kleine Wirtschaftswende?

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Flossbach von StorchMerz startet seine Kanzlerschaft in einem politisch herausfordernden Umfeld, in dem er nicht nur mit internen Konflikten innerhalb der Koalition umgehen muss, sondern auch die dringend notwendige Wirtschaftswende und europäische Stabilität anstrebt.

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Von Norbert F. Tofall, Senior Research Analyst im Flossbach von Storch Research Institute


Die neue deutsche Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD hat eine Mehrheit von 328 von 630 Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Trotzdem erhielt Friedrich Merz im ersten Wahlgang zur Wahl des Bundeskanzlers nur 310 Stimmen und verfehlte die erforderliche Mehrheit von 316 Stimmen. Im zweiten Wahlgang erhielt Friedrich Merz dann 325 Stimmen und wurde zum neuen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Wie viele Abweichler im ersten Wahlgang aus der Union stammen und wie viele aus der SPD ist aufgrund der geheimen Wahl unklar. Und da sich die Abweichler wohl kaum selbst alle outen werden, bleibt auch im Dunkeln, was die Motive dieser Abweichler letztlich sein mögen. Da in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aber bislang alle Kanzler im ersten Wahlgang gewählt worden sind, startet Friedrich Merz mit lädierter Autorität.

Sachfragen und Gesetzentwürfe werden im Deutschen Bundestag zwar in namentlicher Abstimmung entschieden, so dass es ausgeprägten Bekennermuts und persönlichen Standvermögens bedarf, um den Druck der eigenen Fraktion bei abweichendem Stimmverhalten auszuhalten und längerfristig durchzustehen. Nichtsdestotrotz wird Friedrich Merz ab jetzt bei jeder Abstimmung damit rechnen müssen, dass er Abstimmungen verlieren kann. Das kann je nach politischer Konstellation stabilisierend wirken, aber auch zum Gegenteil führen.

Beispielsweise hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel von September 2011 bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2013 das Glück, dass die offen gegen ihre Euro-Rettungspolitik rebellierenden Abweichler in Union und FDP, deren Anzahl immer grösser wurde, vor allem durch Stimmen aus der oppositionellen SPD unter dem Fraktionsvorsitzendem Frank-Walter Steinmeier ausgeglichen wurden. Dadurch musste Angela Merkel nicht auf die Abweichler in Union und FDP zugehen und keine Kompromisse aushandeln, sondern konnte die Abweichler in den eigenen Reihen einfach ignorieren. Aber woher sollen im neuen Bundestag derartige Stimmen der Opposition bei Fragen der Migration oder der Wirtschaftspolitik kommen, wenn es knapp wird und aus eigener Kraft nicht reichen sollte?

Kaum Raum zum Manövrieren

Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen wird Friedrich Merz nicht verschmähen, wird sie bei der Abschaffung des Heizungsgesetzes oder bei der angestrebten rigideren Migrationspolitik aber kaum einsammeln können. Bei verteidigungspolitischen Massnahmen wie der Lieferung von Taurus-Systemen an die Ukraine sieht das sicher anders aus, zumal bei diesen Fragen mit Abweichlern in der SPD gerechnet werden muss. Mit Stimmen der Linken und der AfD wird sich Bundeskanzler Friedrich Merz deutlich schwerer tun.

Zudem dürfte die von der jetzt ausgeschiedenen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wenige Tage vor der Kanzlerwahl veröffentlichte Einstufung der gesamten AfD als gesichert rechtsextremistisch durch den Bundesverfassungsschutz auf die Erhöhung der Brandmauer zur AfD zielen. Dem neuen Bundeskanzler Friedrich Merz soll so dauerhaft der Weg versperrt werden, im Falle eines Falles auf AfD-Stimmen zu setzen. Darüber hinaus könnte die SPD in einem solchen Fall die Regierungskoalition verlassen und auf Neuwahlen setzen, durch welche sie aufgrund ihrer konsequenten „antifaschistischen“ Haltung Wähler von der Linkspartei zurückgewinnen könnte. Neuwahlen dürften aber gerade der AfD – allerdings wohl mehr auf Kosten der Union – in die Hände spielen. Merz könnte bei einem Schielen auf AfD-Stimmen also nicht nur seinen derzeitigen Koalitionspartner SPD verlieren, sondern durch dann wahrscheinliche Neuwahlen sogar die AfD stärken.

Ursprünglich wollte Friedrich Merz bei seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden im Jahr 2022 die AfD halbieren. Damals hatte die AfD 10,4 Prozent im Bundestag, heute hat sie 20,8 Prozent. In einer Regierungskoalition mit der FDP wären die Aussichten von Friedrich Merz, die AfD zu halbieren, aus programmatischen Gründen der Migrations-, der Energie- und der Wirtschaftspolitik erfolgversprechender gewesen. Der Wähler hat das aber nicht gewollt. Jetzt müsste Friedrich Merz das Kunststück vollbringen, zusammen mit der SPD, die bei der Migrations-, der Energie- und der Wirtschaftspolitik weit von der Union entfernt ist, ein weiteres Anwachsen der AfD zu verhindern. Das heisst, dass Friedrich Merz insgesamt kaum Raum zum Manövrieren hat, was auch die Chancen für eine Wirtschaftswende verringern.

Die Chance auf eine Wirtschaftswende: Die Neuaufstellung der SPD

Hoffen lässt derzeit, dass die zwei Politiker, die sich im Herbst 2024 in der Ampel-Koalition geweigert hatten, notwendige Priorisierungen im Bundeshaushalt und wirksame Änderungen in der Wirtschafts- und Energiepolitik vorzunehmen, nicht einer neuen Bundesregierung angehören. Bundeskanzler a.D. Olaf Scholz gehört aus eigenem Wunsch nicht als Minister der neuen Bundesregierung unter Friedrich Merz an. Und da die Grünen nicht Teil der Regierungskoalition sind, kann auch Robert Habeck keine wirtschafts- und wachstumsfeindliche Politik mehr aus dem Bundeswirtschaftsministerium heraus betreiben.

Ob dadurch zumindest die Chance für eine kleine Wirtschaftswende in Deutschland besteht, dürfte von der personellen Neuaufstellung der SPD abhängen, in welcher Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil die zentralen Rollen spielen. Für eine Wirtschaftswende müssten beide die SPD jetzt – unabhängig von den konkreten Vereinbarungen im Koalitionsvertrag mit der Union – schrittweise in Richtung der erfolgreichen Agenda 2010 von Gerhard Schröder drängen, was kein leichtes Spiel ist. Auch ist offen, ob beide das überhaupt wollen.

Deutschlands Wirtschaftswende: Ein Schlüsselfaktor für die europäische Stabilität

Verteidigungs- und sicherheitspolitisch könnte die SPD, da Boris Pistorius jetzt mehr zu sagen hat als in den letzten Jahren, die halbherzige Politik von Olaf Scholz aufgeben und zusammen mit Friedrich Merz und in Abstimmung mit dem französischen Staatspräsidenten Macron und anderen EU-Staaten wie insbesondere Polen die Europäische Union führen und voranbringen, was aufgrund der unsicher gewordenen transatlantischen Beziehungen dringend notwendig ist. Friedrich Merz hat bereits am Wahlabend angekündigt, dass die EU angesichts der Ukraine- und Europapolitik von US-Präsident Donald Trump sicherheits- und verteidigungspolitisch möglichst schnell unabhängig von den USA werden müsse.

Dazu braucht Deutschland – aber auch die Europäische Union – dringend eine Wirtschaftswende. Ohne eine Wirtschaftswende kann Deutschland nicht zur Stabilisierung der Europäischen Union beitragen, sondern wird zur Belastung der EU. Zudem beruht eine dauerhaft erfolgreiche Verteidigungs- und Sicherheitspolitik auf einer stabilen und wachsenden Wirtschaft. Diesem Zusammenhang kann sich eine SPD unter Führung von Boris Pistorius und Lars Klingbeil eigentlich nicht verschliessen.

Sollte die SPD diesen Zusammenhang jedoch ignorieren und sich einer wirksamen Änderung der Wirtschafts- und Energiepolitik verweigern, dann wird es in Deutschland selbst eine kleine Wirtschaftswende nicht geben. Notwendig sind hingegen grundlegende Reformen, um wieder eine solide ökonomische Basis sicherzustellen. Hierbei hängt nicht alles vom Kanzler ab. Der neue Kanzler hat kaum Raum zum politischen Manövrieren. Der kleine Koalitionspartner wird in der Regierung von Friedrich Merz das Tempo bestimmen. Hoffentlich wird der neue Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil dieser Verantwortung gerecht werden.

Quelle: InvestmentWorld.ch


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